Liebe Musikfreundinnen und Musikfreunde,
kurz vor Weihnachten 2024 strahlte die ARD den Fernsehfilm »Bach – Ein Weihnachtswunder« mit Devid Striesow in der Hauptrolle aus. Allein die gute Sendezeit (20:15 Uhr) war schon eine Art Weihnachtswunder! Der Film erzählte auf packende Weise von den Widrigkeiten, mit denen der Thomaskantor Zeit seines Lebens in Leipzig zu kämpfen hatte. Ständig hatte er Stress mit den Ratsherren und der Geistlichkeit, weil die sich eher einen braven, der Tradition verpflichteten Kirchenmusiker und Schulmeister gewünscht hätten als ein musikgeschichtlich bahnbrechendes Genie. Ein gutes Beispiel dafür ist die »Johannes-Passion«.
Als Bach 1724, ein Jahr nach seinem Amtsantritt, in Leipzig seine »Johannes-Passion« am Karfreitag erstmals zu Gehör brachte, war diese neue Art einer Passionsmusik für viele seiner Zeitgenossen sehr verstörend. Eine derart kühne, dramatische, emotionale und geradezu opernhafte Darstellung der Leidensgeschichte Jesu hatte man zuvor nie gehört.
Von einem Skandal ist nichts überliefert, es gibt aber auch keine dokumentierten Worte der Anerkennung – wohl aber plausibel klingende Spekulationen darüber, warum Bach die »Johannes-Passion« für den Karfreitag 1725 gründlich umarbeitete. Er tauschte die Anfangs- und Schluss-Sätze aus, strich ganze Passagen und komponierte drei neue Arien hinzu.
Hatte Bach sich 1724 allzu deutlich über das in seinem Dienstvertrag festgeschriebene Verbot, opernhaft zu komponieren, hinweggesetzt? Waren es eher theologische Gründe? Für das Verständnis der Leipziger Geistlichkeit hatte Bach 1724 möglicherweise die erwünschte Karfreitags-Trauerstimmung vernachlässigt und sowohl mit der Darstellung eines unbeugsamen und siegesbewussten Jesus als auch mit der vorweggenommenen Auferstehungsfreude theologische Tabus verletzt.
John Eliot Gardiner meint dazu: »… auch wenn die Leipziger Geistlichkeit sich schwergetan haben dürfte, in Bachs künstlerischem Ansatz irgendetwas bewusst Subversives zu entdecken: ohne Frage brach sich in diesem Werk eine künstlerische Autonomie Bahn, die der Klerus als gefährlich empfunden haben könnte«.
Genau 300 Jahre nach der Aufführung von Bachs revidierter Johannes-Passion stellen die Arcis-Vocalisten die selten aufgeführte Fassung von 1725 zur Diskussion.
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